Es gibt sie, diese magischen Momente. Diese Momente wie im Rausch, in denen alle Probleme planetenweit entfernt erscheinen. Sie sind häufig kurz und flüchtig, nicht greifbar, zerrinnen zwischen den Finger. Aber die Erinnerung manifestiert sich in Herz, Bauch und Hirn. Nein, ich rede hier nicht von bombastischem Sex. Ich rede von einer züchtig angezogenen Nacht in Bochum, dieser krisengebeutelten und verbauten Stadt, die dennoch über die deutschen Landesgrenzen bekannt ist.
Verantwortlich für die Bekanntheit ist unter anderem ihr derzeit berühmtester Sohn (Sorry, Herr Lammert), der schon lange von Zuhause ausgezogen ist. Er hat in Berlin und London sein Glück gefunden. Böse Stimmen werfen ihm vor, dass seine Verbundenheit zu Bochum nicht real sein könne, wenn er nicht mehr dort wohne. Dass solche Vorwürfe „Bullshit“ sind und jeglicher Grundlage entbehren, konnten am Wochenende Zehntausende im Ruhrstadion spüren. Herbert war zuhause. Und er hat sich gefreut wie Bolle, wollte gar nicht mehr aufhören zu spielen. Auch er konnte nicht genug bekommen, von magischen Momenten.
Es war mein erstes Grönemeyer-Konzert in Bochum, somit ging ein Traum in Erfüllung, der mich seit 15 Jahren begleitet. In Bayern, in Hessen, im Rheinland, in Dortmund und auf Schalke; überall habe ich schon seine Konzerte besucht, jedoch noch nie in seiner Heimatstadt. Aber, dass es ein so unfassbarer Abend werden sollte, hätte ich in eben diesen kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt. Mit der Hymne „Unter Tage“, über den Zusammenhalt im Ruhrpott, eröffnete Herbert gemeinsam mit seiner kongenialen Band einen Abend, dem auch das schlechte Wetter nichts von seinem Zauber nehmen konnte.
Mit einem dicken Solidaritätsgruß an die (Ex-)Opelaner, die zu diesem Konzert eingeladen waren, führte Herbert den ersten Teil des Abends mit vier weiteren Liedern seiner neuen Platte fort. „Fang mich an“ wird mit jedem Hören schöner und ist auch im Stadion tanzbar. Die Masse war zwar in diesen ersten Minuten nur bedingt textsicher, das sollte sich aber ändern, als die Sängerinnen und Sänger des Musikvereins „Glück auf“ aus Ibbenbühren das Steigerlied anstimmten und Grönemeyer und Stadion aus voller Kehle mitsangen. Gänsehaut im Übermaß! Dem folgte zum ersten Mal an diesem Abend Bochum. Dieser Song, der der Stand ein Denkmal gesetzt hat.
Danach gab es kein Halten mehr! Das Stadion hat den Sänger, der sich zwischendurch ständig ironisch um seine Friseur sorgte und seinen Ausdruckstanz bewundert haben wollte, auf Händen getragen und ihm die Zeilen seiner Lieder mit einer solchen Wucht und Hingabe entgegengesungen, dass es für den 59-jährigen augenscheinlich eine wahre Wonne war. Flugzeuge im Bauch in einer reduzierten, gejazzten Version, begleitet von einem Chor aus 30.000 Seelen, die alle schon einmal ihr Herz zurückhaben wollten. Das war ein magischer Moment, wie ich ihn noch nie erlebt habe.
Ach, da war ja noch was. 30 (bzw.31) Jahre 4630 Bochum. Das Albumjubiläum kam natürlich nicht zu kurz. Amerika und Für dich da schlossen sich den eh immer gesetzten Liedern wie Männer, Alkohol und dem Mambo an. Fehlte nur noch Jetzt oder nie. Aber die Menge erwies sich hier textlich nicht besonders fit, dies merkte auch Grönemeyer selber.
„Es ist so schön Zuhause zu sein“, stammelte der sichtlich ergriffene Künstler immer wieder und bedankte sich hundertfach, wenn die 30.000 ihn wieder minutenlang einfach nur beklatschen und „Oh wie ist das schön“-Gesänge durchs Stadionrund hallten. Bei Morgen, diesem schlichten und doch melodisch so wunderschönen Liebeslied, erstrahlen Tausende Handylichter die Dunkelheit. Technik kann so schön sein! Spätestens bei Land unter war es dann vollends um mich geschehen. „Steig zu mir an Bord – Rette mich durch den Sturm“. Allein für dieses Lied lohnt sich ein Grönemeyer-Konzert.
Es war schon lange dunkel und die ersten ungeübten Konzertbesucher machten sich bereits auf den Heimweg (Grönemeyer kommt immer dreimal wieder), da erklangen vertraute Keyboardklänge zum zweiten Mal. Dieses Mal ohne das Steigerlied und strophenweise ohne die Stimme des Künstler sang das Stadion Bochum mit einer solchen Inbrunst und einem solchen Stolz, dass Grönemeyer am Ende die Tränen in den Augen standen. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn so viele Menschen deine Zeilen singen? Kann man sich jemals daran gewöhnen?
Um die Currywurst ließ er sich nicht lange bitten und für die Opelander gab es noch Kadett, ein Lied älter als ich. Aber soo passend für diesen beschwingten Abend.
So ein Konzert kann natürlich nicht enden wie ein normales Konzert. Das war allen Verantwortlichen wohl auch im Vorfeld schon klar. Und so erfüllte während des genialen Remixes von Fang mich an ein bombastisches Feuerwerk den Himmel über dem Stadion. Davon waren alle so in den Bann gezogen, dass der Künstler unter einem zwischenzeitlichen Aufmerksamkeitsentzug litt und spaßeshalber rief „Ihr sollte hierhin schauen“.
Aber entlassen wollte Grönemeyer seine Bochumer damit noch nicht und schickte noch das Abendlied Der Mond ist aufgegangen hinterher. Wäre nicht das Stadionlicht angegangen, der Sänger und das Publikum hätten noch stundenlang weitergesungen. Grönemeyer konnte sich einfach nicht trennen von seinem Publikum. Während die Massen schon zu den Ausgängen strömten, kam er noch einmal im dunkelblauen Bademantel auf die Bühne und winkte allen zum Abschied.
Danke, für diesen magischen Abend, er bleibt bei mir. Bis zum nächsten Mal, hier in Bochum.
Setlist
1. Unter Tage
2. Wunderbare Leere
3. Fang mich an
4. Unser Land
5. Uniform
6. Steigerlied/Bochum
7. Schiffsverkehr
8. Stück vom himmel
9. Männer
10. Was soll das
11. Vollmond
12. Neuer Tag
13. Flugzeuge im Bauch
14. Der Weg
15. Roter Mond
16. Für dich da
17. Amerika
18. Musik, nur wenn sie laut ist
19. Mensch
20. Alkohol
21. Bleibt alles anders
22. Morgen
23. Kinder an die Macht
24. Zeit, dass sich was dreht
25. Currywurst
26. Kadett
27. Land unter
28. Demo (letzter Tag)
29. Mambo
30. Bochum
31. Halt mich
32. Feuerlicht
33. Fang mich an (Remix)
34. Der Mond ist aufgegangen